Soziale Arbeit in der Onkologie: Ein Gewinn für alle

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Peter Reinicke, emeritierter Professor für Sozialarbeit im Gesundheitswesen an der evangelischen Fachhochschule Berlin, gibt in seinem neuen Buch „Sozialarbeit mit Krebskranken“ [1] einen Überblick über 100 Jahre Interdisziplinarität zwischen Sozialer Arbeit und Medizin.

Schon 1905 erkannte der Mediziner Ernst von Leyden, Leiter der 1. Medizinischen Klinik der Charité in Berlin und Gründer des ersten dort angesiedelten Krebsforschungsinstituts, dass neben der medizinischen Versorgung der Patienten auch soziale Probleme eine wichtige Rolle spielen und regte die Einrichtung von Fürsorgestellen für Krebskranke an (vgl. [1]). Die Soziale Arbeit war zu diesem Zeitpunkt noch am Beginn ihrer Professionalisierung, und gerade der Gesundheitsbereich gehörte zu den ersten großen Betätigungsfeldern.

Was ist Soziale Arbeit?

Soziale Arbeit hat das sehr allgemein gefasste Ziel, Menschen in ihrer Lebens- und Alltagsbewältigung zu unterstützen und soziale Probleme und Benachteiligungen zu reduzieren.

Alice Salomon, eine der Begründerinnen der schulischen Ausbildung von Sozialer Arbeit, formulierte bereits 1921 den für die heutige Sozialarbeit immer noch gültigen Lehrsatz, dass ein Sozialarbeiter seine Kenntnisse anwendet, indem er den Patienten „für eigenes Tun gewinnt, Einsichten in ihm weckt, seine inneren Kräfte löst und ihnen Richtung gibt“ [2]. Im heutigen Sprachgebrauch würde man von Empowerment, also Hilfe zur Selbsthilfe, sowie von Ressourcenorientierung an Stelle von Problemorientierung sprechen.

Das klassische Instrument der Sozialen Arbeit, die Beratung, stellt den Klienten in den Mittelpunkt und soll ihn unterstützen, „in Bezug auf eine Frage oder ein Problem mehr Wissen, Orientierung und Lösungskompetenz zu gewinnen“ [3]. In Anlehnung an Lüssi [4] umfasst Sozialarbeit jedoch mehr Handlungsarten als „nur“ die Beratung, so sind das Verhandeln zwischen mehreren Beteiligten im Case- und Übergangsmanagement, das Eingreifen zum Schutz von KlientInnen und das Vertreten vor anderen Personen/Institutionen insbesondere bei der Durchsetzung von Rechten wichtige Bestandteile der Arbeit. Ebenso gehört Existenzsicherung durch die Beschaffung von Leistungen und Gütern mit zur Sozialen Arbeit, denn sie „hat es mit vielen handfesten Problemen zu tun. Geldmangel, Kündigung der Wohnung, Stromabstellung und Arbeitslosigkeit“ [5].

Soziale Arbeit für KrebspatientInnen

Als so genannte „spezialisierte Generalisten“ [6] liegt die besondere Stärke von SozialarbeiterInnen in ihrer Multidisziplinarität. Die Soziale Arbeit „bietet schwerpunktmäßig Beratung, Unterstützung und Entlastungsangebote bei der Bewältigung krankheitsbedingt veränderter Alltags- und Lebensbedingungen. Sie richtet ihren Blick sowohl auf den erkrankten Menschen als auch auf das soziale Umfeld mit den jeweiligen Ressourcen und Belastungen.“ [7]. Mit diesem systemischen oder ganzheitlichen Blick werden komplexe Problemlagen oft zu „Paketen gebündelt“, Prioritäten erarbeitet und, wenn möglich, an wohnortnahe Hilfen und ExpertInnen für spezifische Fragestellungen vermittelt, was eine fundierte Netzwerkarbeit von SozialarbeiterInnen voraussetzt. SozialarbeiterInnen übernehmen hierbei oft eine Lotsenfunktion im oft komplexen und undurchsichtigen Hilfsnetz.

Bei allen Aktivitäten steht für die Soziale Arbeit die Selbstbestimmung des Patienten im Vordergrund; er ist der Experte seiner Situation und darf letztendlich darüber entscheiden, ob Hilfestellungen in Anspruch genommen werden sollen und wenn ja, welche. Hans Thiersch, ein Sozialarbeitstheoretiker, formuliert eindringlich: „dass Menschen auch gegen die Macht der Krankheit (..) erfahren müssen, dass sie zuständig für sich sind. (…), dass sie in Entscheidungen miteinbezogen sind, dass sie wählen können, weil sie informiert sind.“ [8].

Die Angebote von Beratungsstellen wie der Krebsberatungsstelle im Tumorzentrum München beschäftigen sich mit genau diesen Themen. Die Gesprächstermine (telefonisch oder persönlich) sind kostenfrei, vertraulich und finden nach Möglichkeit zeitnah statt.

Zum Abschluss darf ich Ihnen noch mein persönliches Fazit aus fast 20 Jahren Tätigkeit in der Sozialen Arbeit mitgeben: Sozialarbeiterin zu sein ist für mich nach wie vor meine Berufung. Menschen auf ihrem persönlichen Weg zu begleiten, sie zu stärken und mit Ihnen Neues zu entdecken, ist für mich jeden Tag aufs Neue eine Erfüllung und Bereicherung.

Quellen:

  1. Reinicke, P., Sozialarbeit mit Krebskranken. 2019, Frankfurt am Main: Mabuse-Verlag.
  2. Salomin, A., unter Mitwirkung von Wronsky, S., Leitfaden der Wohlfahrtspflege. 1921, Berlin, Leipzig.
  3. Sickendiek, U., Engel, F, Nestmann, F. , Beratung: eine Einführung in sozialpädagogische und psychosoziale Beratungsansätze. 2008, Weinheim: Juventa.
  4. Lüssi, P., Systemische Sozialarbeit. 2001, Bern: Haupt.
  5. Herwig-Lempp, J., Kühling, L, Sozialarbeit ist anspruchsvoller als Therapie. Zeitschrift für systemische Therpaie und Beratung, April 2012.
  6. Kleve, H., Ambivalenz, System und Erfolg, Provokationen postmoderner Sozialarbeit. 2007, Heidelberg Karl Auer
  7. Rösler, M.u.a., Soziale Arbeit in der Onkologie – eine zusammenfassende Übersicht, A.S.A.i.d.O.A.d.D. Krebsgesellschaft, Editor. 2016.
  8. Thiersch, H.G.K., Praxishandbuch Lebensweltorientierte Soziale Arbeit. 2016, Weinheim, München: Juventa Verlag.

1 Kommentar zu „Soziale Arbeit in der Onkologie: Ein Gewinn für alle“

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