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„Antimikrobielle Resistenz ist eine weltweit wachsende Bedrohung, und wenn wir jetzt nicht mehr unternehmen, dann könnte sie bis 2050 mehr Todesfälle verursachen als Krebs“. So die provokante Aussage des EU-Gesundheitskommissars Vytenis Andriukaitis im Juni dieses Jahres (1). Mit seiner Forderung nach einem vorsichtigeren Einsatz von Antibiotika steht er nicht allein da. Die Arbeitsgemeinschaft wissenschaftlich-medizinischer Fachgesellschaften entwickelte 2014 eine Leitlinie für einen sachgemäßeren Umgang mit Antibiotika in Krankenhäusern. Der Initiator der Leitlinie Professor Dr. med. Winfried Kern warnt, dass Ärzte oftmals schon bei einer Erkältung ein Breitspektrum-Antibiotika verschreiben, und erklärt: „Die Ursachen für die zunehmenden Resistenzen liegen auch im großflächigen Antibiotikaeinsatz in der Tiermast und dem leichtfertigen Gebrauch in Human- und Veterinärmedizin“ (2) .
Warum ist ein erhöhter Antibiotika-Einsatz problematisch?
Antibiotika sind antimikrobielle Substanzen, die im Allgemeinen zur Bekämpfung bakterieller Infektionen wie Tuberkulose oder Lungenentzündung eingesetzt werden. Sie töten die Bakterien ab und verhindern so eine weitere Ausbreitung im Organismus. Wenn sich Bakterien im Gegenzug so verändern, dass das Antibiotikum ihnen nichts mehr anhaben kann, spricht man von „Antibiotika-Resistenz“. Diese resistenten Keime werden im Rahmen einer Antibiotika-Behandlung nicht mehr angegriffen und haben so einen Vorteil gegenüber nicht-resistenten Keimen. Sie können sich also noch besser vermehren. Dies gilt gleichermaßen für Tiere wie für Menschen.
Es sind vor allem zwei Ursachen, die zu einer erhöhten Antibiotika-Resistenz in der Bevölkerung führen:
- Zu schnelle und unbedachte Verschreibung von Antibiotika in der Humanmedizin
- Flächendeckender Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung
Einsatz finden auch vermehrt sogenannte β-Laktam-Antibiotika. Diese Medikamente sollten eigentlich ein Mittel der letzten Wahl sein und nur dann eingesetzt werden, wenn kein anderes Antibiotikum mehr wirkt. Grund für den zunehmenden Einsatz ist das vermehrte Auftreten von Infektionen mit multiresistenten Keimen, vor allem in Krankenhäusern. Die gehäufte Einnahme dieser Reserveantibiotika (wie den Carbapenemasen) führt jedoch zur Ausbreitung von Bakterienstämmen, die oftmals auch gegenüber anderen Antibiotikagruppen resistent sind. Ein Teufelskreis.
Auch in der Landwirtschaft wird das Thema immer relevanter. Die industrielle Nutztierhaltung, bei der die Tiere auf engem Raum zusammenstehen, fördert die Ausbreitung von Erregern und Infektionen. Um den Erkrankungen der Tiere und den damit verbundenen ökonomischen Einbußen der Landwirte vorzubeugen, werden Antibiotika prophylaktisch verabreicht, oftmals auch bei den gesunden Tieren. Derzeit werden in Deutschland im Zuge der Produktion von günstigem Fleisch im Jahr etwa 837 Tonnen Antibiotika eingesetzt, damit die Tiere die Mastzeit überstehen. Die Menge ist hierbei seit 2011 um etwa die Hälfte gesunken, dafür werden jedoch vermehrt Reserveantibiotika eingesetzt, was aufgrund der Bedeutung dieser Antibiotika in der Humanmedizin als kritisch zu bewerten ist.
2011 wurden erstmals auch in der Mastschwein- und Masthuhnzucht Keime nachgewiesen, die gegen Carbapeneme resistent sind. Seither wurden solche Keime immer wieder bei Nutztieren nachgewiesen, und das, obwohl der Einsatz dieser Wirkstoffklasse in der Europäischen Union zur Behandlung von Tieren nicht zugelassen ist. Woher diese Erreger kommen, ist bis dato noch unklar.
Eine intensive Überwachung ist erforderlich, damit das Fleisch solcher Tiere nicht in den Handel gelangt. Durch den Verzehr könnten Verbraucher die Resistenz-Eigenschaften übernehmen und in Folge Probleme bekommen, wenn wichtige Medikamente gegen bakterielle Infektionen nicht mehr wirken (3).
Antibiotika, die der Leistungs- und Wachstumsförderung dienen, sind in der EU seit 2006 in der Nutztierhaltung verboten. Seit April 2014 gilt zudem das geänderte Arzneimittelgesetz (16. AMG-Novelle), nach dem der Antibiotikaeinsatz ab einer bestimmten Bestandsgröße gemeldet werden muss. Bei einer zu häufigen Antibiotika-Anwendung müssen Maßnahmen zur Reduzierung ergriffen werden (4).
Neben den zunehmenden Resistenzen scheint eine vermehrte Antibiotika-Einnahme im Zusammenhang zu stehen mit dem Auftreten chronisch entzündlicher Darmerkrankungen, Zöliakie, Allergien und Übergewicht. Auch bei der Initiation und Promotion von Tumorerkrankungen könnte der erhöhte Konsum von Antibiotika beteiligt sein (5).
Existiert eine Verbindung einer erhöhten Antibiotika-Einnahme und Tumorerkrankungen?
Die menschliche Mikrobiota ist ein sehr gut ausbalanciertes System verschiedener Bakterienstämme. Ist diese Balance jedoch – beispielsweise durch die wiederholte Einnahme von Antibiotika – gestört, könnte dies zu einem erhöhten Risiko für Dickdarm-, Lungen- und Pankreaskrebs führen, das legt zumindest das American Institute for Cancer Research (AICR) nahe (6).
Eine finnische Studie von Kilkkinen A et al zeigte einen Zusammenhang zwischen der Häufigkeit der Einnahme von Antibiotika und der Wahrscheinlichkeit, an Dickdarmkrebs zu erkranken, auf (7). Auch eine kürzlich erschienene Studie von Cao, Y et al. konnte ein erhöhtes Risiko für Dickdarmkrebs bei einer langfristigen Gabe von Antibiotika detektieren. Die Gabe von Antibiotika führt hier zumindest zeitweilig zu einer Veränderung der Darm-Mikrobiota, resultierend in einem Verlust an Diversität und einer veränderten Zusammensetzung der Bakterienstämme. Dies erleichtert es unter anderem Pathogenen, sich an der Darmschleimhaut anzusiedeln und so Entzündungen hervorzurufen.
Vor allem die erhöhte Antibiotika-Einnahme im frühen bis mittleren Erwachsenenalter scheint mit einem erhöhten Dickdarmkrebs-Risiko einher zu gehen (5).
Was tun? – Der Praxis-Tipp
Vor allem beim Einkauf von Lebensmitteln tierischer Herkunft ist die Lebensmittelauswahl ausschlaggebend. Um Fleisch möglichst kostengünstig zu produzieren, wird leider häufig auf die so genannte Massentierhaltung zurückgegriffen, bei der Antibiotika gehäuft eingesetzt werden. Der Einkauf von Fleisch, Milch und Eiern aus Betrieben, die ihre Tiere artgerecht und mit genügend Auslauf halten, kann dazu beitragen, weniger Antibiotika und Antibiotika-resistente Bakterien mit diesen Lebensmitteln aufzunehmen. Auch Zuchtfische sind übrigens oftmals stark mit Antibiotika belastet.
Ein weiterer Punkt ist eine erhöhte Küchenhygiene, die die Übertragung von Krankheitserregern verhindert.
In der Humanmedizin sollten Dauer und Dosis einer Therapie mit Antibiotika auf ein Minimum begrenzt werden. Zudem hilft eine frühe und gezielte Behandlung mit erregerspezifischen Wirkstoffen.
Quellen:
(1) EU-Kommission nimmt sich Antibiotika-Resistenz vor. s.l. : Springer Medizin, 30. Juni 2017, Ärzte Zeitung online.
(2) Gezielter und intelligenter Antibiotikaeinsatz kann Bakterien-Resistenzen mindern. Pressemitteilung. s.l. : Thieme-Verlag, 2014. https://www.thieme.de/de/neurologie/gezielter-intelligenter-antibiotikaeinsatz-kann-bakterien-resistenzen-mindern-61290.htm.
(3) Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR). Antibiotikaresistenz: Carbapenemase-bildende Keime in Nutztierbeständen – Aktualisierte Mitteilung Nr. 036/2016 des BfR vom 23.12.2016. www.bfr.bund.de. [Online] 23. Dez 2016. http://www.bfr.bund.de/cm/343/antibiotikaresistenz-carbapenemase-bildende-keime-in-nutztierbestaenden.pdf.
(4) Bundesinstitut für Risikobewertung. Fragen und Antworten zu den Auswirkungen des Antibiotika-Einsatzes in der Nutztierhaltung. Aktualisierte FAQ des BfR vom 03. August 2016. [Online] August 2016. http://mobil.bfr.bund.de/de/faq/fragen_und_antworten_zu_den_auswirkungen_des_antibiotika_einsatzes_in_der_nutztierhaltung-128153.html#id.
(5) Long-term use of antibiotics and risk of colorectal adenoma. al., Cao Y et. 0, april 2017, Gut, S. 1-7. doi: 10.1136/gutjnl-2016-313413. .
(6) American Institute for Cancer Research (AICR). Investigating the Power of Bacteria. [Online] 2014. http://www.aicr.org/publications/newsletter/2014/124-winter/newsletter-investigating-the-power-of-bacteria.html?_ga=2.21791931.1226885447.1499355911-64783804.1499355911.
(7) Antibiotic use predicts an increased risk of cancer. al, Kilkkinen A et. 123, 2008, Int J Cancer , S. 2152–5.