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„Die biologische Wende in der Landwirtschaft ist bei Weitem noch nicht abgeschlossen“, erklärt Florian Reiter voller Überzeugung, als ich ihn auf dem Chiemgauhof im bayerischen Locking besuche. „Beim Gemüse und bei der Rinderhaltung mag sich vielleicht einiges getan haben, aber bei Schwein und Geflügel sind viele Erzeuger noch meilenweit von einer artgerechten Haltung entfernt.“
Aus dieser Überzeugung heraus züchtet der Landwirt auf seinem Hof neben Schweinen, die alle ausschließlich vom Schwäbisch-Hällischen Landschwein abstammen, die Zweinutzungsrasse „Les Bleues“. Diese Hühnerrasse mit den namensgebenden blauen Beinen zeichnet sich dadurch aus, dass sie sowohl zur Fleischerzeugung als auch zur Eierproduktion genutzt werden kann. Anders als bei den konventionellen Hybridhühnern sind demnach auch die Hähne für die landwirtschaftliche Nutzung geeignet. Das viel diskutierte Töten der männlichen Küken erübrigt sich bei dieser Rasse. Zudem sind die „Les Bleues“-Hühner widerstandsfähiger gegenüber Erkrankungen als ihre hochgezüchteten Verwandten
„Der Gebrauch von Medikamenten wie Antibiotika ist somit kein Thema mehr“, bekräftigt Florian Reiter. Gerade bei Fleisch von Masthähnchen werden immer wieder Antibiotika-resistente Keime wie der Methicillin-resistente Staphylococcusaureus (MRSA) entdeckt – eine Folge des massiven Einsatzes von Antibiotika in der konventionellen Landwirtschaft. Die dadurch entstehenden Probleme sorgen dafür, dass das an sich gesunde Geflügelfleisch immer wieder in der öffentlichen Kritik steht (1).
Gerade für Krebspatienten ist das hochwertige Protein des Geflügels nämlich im Grunde ideal, um den gesteigerten Eiweißbedarf nach einer OP, Chemo- oder Strahlentherapie zu decken. Da das Fleisch zudem nur wenig Häm-Eisen besitzt, gilt es laut den Empfehlungen der WCRF als weniger kanzerogen als so genanntes rotes Fleisch von Rind, Schaf, Ziege oder Schwein. Dank seiner vielen B-Vitamine, insbesondere das Vitamin B12, und dem hohen Anteil von Selen im Muskelfleisch unterstützt der moderate Konsum von Geflügelfleisch das Immunsystem. Lediglich die Geflügelhaut von Hybridhühnern sollte mit Vorsicht genossen werden, denn anders als das Muskelfleisch enthält sie weniger (mehrfach) ungesättigte Fettsäuren und mehr gesättigte Fette (2) (3).
Auch hier weisen die „Les Bleues“-Hühner eine Besonderheit auf: Dank der längeren Lebensdauer und dem vielen Auslauf besitzen die Hühner kaum Unterhautfettgewebe. Stattdessen haben sie intramuskuläres Fett gespeichert, welches als qualitativ und geschmacklich hochwertig gilt. „Eine große Keule, durchzogen von intramuskulärem Fett gilt als Qualitätsmerkmal“, weiß Florian Reiter. „Nicht umsonst besitzen die „Les Bleues“ im Vergleich zu allen übrigen Hühnern die beste Fleischqualität und werden daher seit 1860 in Frankreich als unter dem Namen Bressehuhn mit großem Erfolg gezüchtet.“
Nach der ausführlichen Besichtigung seiner Hühner möchte Herr Reiter uns noch eine weitere Besonderheit des Hofes zeigen: die „Lockinger Sau“ geht auf das traditionsreiche Schwäbisch-Hällische Landschwein zurück und wurde auf dem Hof nochmals veredelt. Wenn man die munter wühlenden Schweine beobachtet, fällt einem sofort der frische Geruch auf. Anders als bei Massenbetrieben fehlt hier gänzlich der typische Schweinegestank, denn wie auch die Hühner verfügen die Tiere über genug Auslauf, um ihre „Toilette“ fein säuberlich von ihrer Suhl-Ecke zu trennen.
Die Tiere sind den ganzen Tag im Freien, und wenn es dunkel wird, können sie sich in eine Art Höhle zurückziehen. Die natürliche Tierhaltung wird beim Chiemgauhof ganz groß geschrieben. Florian Reiter bewirtschaftet den Hof, der bereits im 8. Jahrhundert existiert haben soll, seit 2007 in einer „tiergerechten und ressourcenschonenden Wirtschaftsweise“. Das Futter wird zum großen Teil direkt am Hof erzeugt. Man sieht den Tieren an, wie wohl sie sich fühlen.
Eine Qualität, die natürlich auch ihren Preis hat. Auf die Frage, ob „Bio“ denn Luxus sei, schüttelt Florian Reiter indes entschieden den Kopf: „In einer Gesellschaft, in der etwa 50 Prozent aller Lebensmittel weggeschmissen werden – sei es beim Produzenten, beim Händler oder beim Verbraucher –, muss dem einzelnen Nahrungsmittel wieder mehr Wert gegeben werden. Gerade Fleisch stellt etwas derart Wertvolles dar, dass ich es mir zweimal überlegen sollte, es zu verschwenden oder vergammeln zu lassen. Wenn ich sorgfältig damit umgehe, ist der Preis auch nicht zu hoch.“
Gerade beim Fleisch gilt: der maßvolle Genuss ist der gesündeste, auch hinsichtlich der Krebsprävention. Und bei den 300 g Fleisch pro Woche, die die EAT-Lancet-Studie empfiehlt (siehe den Blogbeitrag Revolution auf unseren Tellern) darf es dann auch etwas sein, was den Namen LEBENS-Mittel wirklich verdient hat.
Das vollständige Interview mit Florian Reiter sehen Sie hier:
Fotos: Amelie Niederbuchner, TZM, wildcat media