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Cannabis: Droge und Arzneimittel
Cannabis befreit sich momentan weltweit von dem Ruf, als psychoaktive Droge vor allem denjenigen zu dienen, die sich kurzfristig in eine heilere Welt flüchten wollen. Wie jüngst ausführlich in den Medien diskutiert wurde, verfügt die Pflanze Cannabis sativa über einige therapeutische Eigenschaften, die erkrankten Menschen Linderung oder gar Heilung versprechen.
Diese Tatsache findet auch zunehmend bei gesundheitspolitischen Entscheidungen Gehör. So wurden in Deutschland mit dem am 10.03.2017 in Kraft getretenen Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften die Möglichkeiten zur Verschreibung von Cannabis-Arzneimitteln erweitert. Zeitgleich wurde eine dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) untergeordnete Cannabisagentur gegründet[1]. De facto können nun Ärzte neben Fertigarzneimitteln auf Cannabisbasis auch Extrakte und Blüten verschreiben, die (zukünftig Deutschland angebaut) als Rezepturarzneimittel in den Apotheken angefertigt oder bestellt und von den Krankenkassen erstattet werden können.
Botanik und Inhaltsstoffe
Hanf, Cannabis sativa L., ist eine sommerannuelle (einjährige, nur im Sommer blühende) Kurztagpflanze, die zur Gruppe der Dicotyledoneae gehört. Er wird in unseren Breiten zwischen 2 m und 4 m hoch. Cannabisblüten bestehen aus den blühenden, getrockneten Triebspitzen der weiblichen Pflanze [2].
Mit den sogenannten Cannabinoiden enthält Hanf etwa 60 verschiedene Inhaltstoffe. Die medizinisch anwendungsrelevantesten Cannabinoide sind Delta-9-Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD). Klinische Wirkungen von Cannabis-Medikamenten sind in der Mehrzahl auf eine Aktivierung von sogenannten Cannabinoid-CB1- und CB2-Rezeptoren („Andockstellen“) zurückzuführen. CB-1 Rezeptoren finden sich auf Nervenzellen, CB-2 vor allen auf Zellen der Immunabwehr [1, 3].
Geschichte und Forschung
Cannabis gilt in vielen Kulturen als Nutz- und Heilpflanze. Schon im alten China soll der Hanf zu Nahrung, Kleidung, Fischnetzen und Ölen verarbeitet worden sein. Von Zentralasien aus hat sich der Hanf dann über den Nahen Osten bis nach Europa ausgebreitet [4]. Hier werden Arzneimittel auf der Basis von Cannabis seit vielen Jahrhunderten zu therapeutischen Zwecken eingesetzt. Ende des 19. Jahrhunderts nutzte man medizinischen Hanf zur Behandlung von Schmerzen, Spasmen (erhöhter Muskelspannung), Asthma, Schlafstörungen, Depression und Appetitlosigkeit [5]. Mit der wissenschaftlichen Entdeckung von THC und eines körpereigenen Cannabinoid-Systems begann in den 70er Jahren die aktive Erforschung der klinischen Bedeutung von Cannabis und führte in zahlreichen Ländern zur Zulassung von Medikamenten auf Hanfbasis. In Deutschland ist seit 2011 erstmalig ein Cannabis-Extrakt zur Behandlung von Spastik bei multipler Sklerose zugelassen. Neben diesem offiziellen Anwendungsgebiet werden Cannabis-Arzneimittel derzeit am häufigsten bei Appetitlosigkeit, Übelkeit und (chronischen) Nervenschmerzen verordnet [3]. Darüber hinaus gibt es u.a. Hinweise auf eine anti-epileptische Wirkung von Cannabis [6]. Momentan beschäftigt sich eine Vielzahl von Cannabis-Studien mit den unterschiedlichsten Fragestellungen zu dieser Heilpflanze [7].
Ungeachtet dieses Interesses der Forschung hinsichtlich der medizinischen Cannabis-Anwendung gesteht das BfArM ein, dass „zur Anwendung von Cannabis-Blüten und nicht zugelassenen Cannabis-Extrakten […] bislang nur begrenzte Informationen zu Wirksamkeit und Sicherheit [vorliegen]. Trotz zahlreicher Veröffentlichungen ist die Menge der tatsächlich auswertbaren wissenschaftlichen Daten derzeit noch gering“ [8].
Cannabis in der Krebstherapie
In unserer komplementärmedizinischen Beratungssprechstunde am Tumorzentrum München werden wir in letzter Zeit des öfteren von krebserkrankten Patienten nach der Wirkung von Cannabis bei Tumorerkrankungen gefragt. Dieses gesteigerte Interesse ist nicht selten auf fragwürdige Versprechen im Internet zurückzuführen. Allerdings machen die Ergebnisse seriöser Forscher durchaus Hoffnung auf eine krebshemmende Wirkung von Cannabis. Bisher wird Cannabis in der Onkologie hauptsächlich als eine alternative Behandlungsmethode bei von Zytostatika verursachter Übelkeit oder Schmerzen eingesetzt [3]. Es häufen sich jedoch die Hinweise, dass seine Inhaltsstoffe THC und CBD eine unmittelbar tumorzellhemmende Wirkung haben könnten. Wie leider so häufig in der komplementärmedizinischen Onkologie, stützt sich bisher das tatsächliche Wissen über die Wirkung der Cannabinoide bei Tumorerkrankungen fast ausschließlich auf Zellstudien und Tierversuche:
- 2014 erhielt eine Untersuchung des deutschen Pharmakologen Burkhard Hinz in Rostock relativ große Aufmerksamkeit in den Medien [9]. Er zeigte auf, wie mit Hilfe von Cannabinoiden Lungenkrebszellen im Laborversuch abgetötet wurden [10].
- Den Ergebnissen der Grundlagenforschung entsprechend, können Cannabisinhaltsstoffe womöglich in Zukunft in der Brustkrebstherapie eingesetzt werden [11].
- Auch Hautkrebs [12], Prostatakarzinome [13], Leberkrebs [14] oder Gallengangkarzinome [15] reagieren möglicherweise empfindlich auf medizinisches Cannabis.
Die erste (und bisher wohl einzige) klinische Studie, in der Cannabis (THC) in den Tumor selbst injiziert wurde, führten Guzmán und Mitarbeiter an neun Patienten mit weit fortgeschrittenem Gehirntumor durch. Die Effekte auf das Überleben waren in dieser Arbeit nicht zu beurteilen. Die Therapie verbesserte jedoch bei einigen Teilnehmern die neurologischen Funktionen und wurde allgemein gut toleriert [16].
Schlussfolgerung
Wie bereits beschrieben, ist die Wirksamkeit von Cannabis auf Tumor-Wachstum bzw. -Streuung bei Patienten bei weitem nicht ausreichend belegt. Bei den anderen in diesem Beitrag erwähnten Anwendungsgebieten sieht die Beweislage schon deutlich besser aus.
Die häufigsten Nebenwirkungen einer Cannabinoid-Therapie sind „Müdigkeit und Schwindel, psychische Effekte und Mundtrockenheit. Gegenüber diesen Nebenwirkungen entwickelt sich fast immer innerhalb kurzer Zeit eine Toleranz. Entzugssymptome stellen im therapeutischen Kontext kaum jemals ein Problem dar“, urteilt das Deutsche Ärzteblatt [3].
Sichergestellt ist also, dass medizinische Cannabisprodukte in kontrollierter Dosierung relativ gut vertragen werden. Inwieweit er sich Arzneimitteln aussetzen will, die unter Umständen das zentrale Nervensystem psychoaktiv beeinflussen, das muss jeder Patient für sich selber entscheiden.
Quellen:
[1] Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), „Cannabisagentur,“ 2017. http://www.bfarm.de/DE/Bundesopiumstelle/Cannabis/Cannabisagentur/_node.html.
[2] https://sundoc.bibliothek.uni-halle.de/diss-online/03/03H174/t3.pdf
[3] Grotenhermen F, Müller-Vahl K, „Das therapeutische Potenzial von Cannabis und Cannabinoiden,“ Dtsch Arztebl 2012; 109(29-30), Nr. 109, pp. 29-30, 2012.
[4] Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e.V. (DHS), „Cannabis – Basisinformationen,“ 2016. http://www.dhs.de/fileadmin/user_upload/pdf/Broschueren/Basisinfo_Cannabis.pdf.
[5] F. M., „Cannabis in der westlichen Medizin Cannabis und Cannabinoide.,“ Grotenhermen F, editor. Pharmakologie, Toxikologie und therapeutisches Potential., pp. 57-71, 2004.
[6] O’Connell B, Gloss D, Devinsky O, „Cannabinoids in treatment-resistant epilepsy: A review.,“ Epilepsy Behav., Bd. 16, Nr. 30625-4, pp. pii: S1525-5050, 8 Feb 2017.
[7] U.S. National Institutes of Health, „ClinicalTrials.gov,“ https://clinicaltrials.gov/ct2/results?term=dronabinol+OR+tetrahydronnabinol+OR+marinol. [Zugriff am 2017].
[8] Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), „Cannabis als Medizin: Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte richtet Cannabisagentur für künftigen Cannabisanbau in Deutschland ein,“ 03 März 2017. http://www.bfarm.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2017/pm7-2017.html .
[9] Lübecker Nachrichten Online, „Mit Cannabis gegen Krebs: Hype oder Hoffnung?,“ 03 März 2017. http://www.ln-online.de/Nachrichten/Brennpunkte/Mit-Cannabis-gegen-Krebs-Hype-oder-Hoffnung.
[10] Ramer R et al., „Cannabinoids inhibit angiogenic capacities of endothelial cells via release of tissue inhibitor of matrix metalloproteinases-1 from lung cancer cells.,“ Biochem Pharmacol., Bd. 91, Nr. 2, pp. 202-16, 15 Sept 2014.
[11] Caffarel MM et al., „Cannabinoids: a new hope for breast cancer therapy?,“ Cancer Treat Rev., Bd. 38, Nr. 7, pp. 911-8, Nov 2012.
[12] Blázquez C et al., „Cannabinoid receptors as novel targets for the treatment of melanoma.,“ FASEB J., Bd. 20, Nr. 14, pp. 2633-5, Dec 2006.
[13] De Petrocellis L et al., „Non-THC cannabinoids inhibit prostate carcinoma growth in vitro and in vivo: pro-apoptotic effects and underlying mechanisms.,“ Br J Pharmacol., Bd. 168, Nr. 1, pp. 79-102., Jan 2013.
[14] Pourkhalili N et al., „Evaluation of anti-invasion effect of cannabinoids on human hepatocarcinoma cells.,“ Toxicol Mech Methods., Bd. 23, Nr. 2, pp. 120-6, Feb 2013.
[15] Leelawat S et al., „The dual effects of delta(9)-tetrahydrocannabinol on cholangiocarcinoma cells: anti-invasion activity at low concentration and apoptosis induction at high concentration.,“ Cancer Invest., Bd. 28, Nr. 4, pp. 357-63, May 2010.
[16] Guzmán M et al., „A pilot clinical study of Delta9-tetrahydrocannabinol in patients with recurrent glioblastoma multiforme.,“ Br J Cancer., Bd. 95, Nr. 2, pp. 197-203, 17 Jul 2006.
Endlich weiß ich mehr über die Inhaltsstoffe bei Hanf!
Ich finde dieses Thema sehr interessant. Nachdem ich mich länger mit Hanf beschäftigt habe, bin ich auf Hanfstecklinge gestoßen. Daher habe ich mich auf die Suche danach gemacht.
Pingback: Cannabidiol (CBD): das Cannabis für alle? (Teil 1) | TZM-Blog: Gemeinsam stark! | TZM-Blog: Gemeinsam stark!
Danke für die guten Informationen zu Hanf. In manchen Ländern sind Hanfstecklinge erlaubt für den Eigenbedarf. Gerade in der Medizin ist diese Pflanze leider recht lange ausgespart worden.