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Viele kennen L-Carnitin aus den Medien als angeblichen „Fatburner“ (Fettverbrenner). L-Carnitin (ß-Hydroxy-γ-trimethylaminobutyrat) kann im Zusammenhang mit einer Tumorerkrankung eine nahezu gegenteilige Wirkung entfalten. Sollten Sie jedoch von L-Carnitin bisher noch gar nichts gehört haben, sind Sie in guter Gesellschaft. Denn L-Carnitin ist weit weniger bekannt als viele andere Stoffe, die derzeit in der komplementären Onkologie zur Verwendung kommen.
Wovon sprechen wir?
L-Carnitin ist eine wasserlösliche Substanz, die zum einen vom Körper selbst gebildet, andererseits aber auch mit der Nahrung aufgenommen wird. Es spielt insbesondere im Energiestoffwechsel der Zellen eine wichtige Rolle, da es die Mitochondrien (die körpereigenen „Zellkraftwerke“) dabei unterstützt, mit wichtigen Fettsäuren versorgt zu werden. L-Carnitin findet man hauptsächlich im tierischen (dazu zählt an dieser Stelle auch der menschliche) Organismus.
Etwa 97 % des im Körper vorhandenen Carnitins sind in der Skelettmuskulatur gespeichert (1). Über die Nahrung lässt sich L-Carnitin hauptsächlich durch den Genuss von (Muskel-) Fleisch (carne, lat. = Fleisch), Fisch oder Milchprodukte aufnehmen (2).
Studien haben gezeigt, dass über die Ernährung oder als Nahrungsergänzungsmittel aufgenommenes L-Carnitin nur zu 5 bis 15 % vom Körper aufgenommen und – falls überschüssig – über die Nieren wieder ausgeschieden wird (2). Ein L-Carnitin-Mangel kann bei Mangelernährung, bei genetischer Veranlagung, nach Magen-Darm-Operationen oder unter Dialyse auftreten (3).
L-Carnitin als „Heilsubstanz“
Es gibt Hinweise, dass L-Carnitin die mechanische und elektrische Herzfunktion verbessert (4) und Patienten mit chronischem Müdigkeitssyndrom zu einer Linderung (5) verhilft. Dieser Effekt ist bei der Behandlung der typischen Leistungsschwäche bei multipler Sklerose jedoch weniger eindeutig (6). Dagegen konnte dargestellt werden, dass eine L-Carnitin-Substitution bei nierenkranken Patienten unter Dialyse zu einer Verbesserung der Blutzuckerregulation beiträgt (7) und die körperliche Funktionsfähigkeit stärkt (8). Eine Unterform von L-Carnitin (Acetyl-L-Carnitin) kann die Auswirkungen einer diabetischen Neuropathie verbessern (9). Diese L-Carnitin-Variante sollte jedoch unter einer Chemotherapie vermieden werden, da sie im Gegenteil durch eine Chemotherapie bedingte Neuropathie verschlechtern bzw. fördern kann (10).
L-Carnitin bei Tumorerkrankungen
Im Rahmen von Tumorerkrankungen und deren Therapie hat L-Carnitin eine Nische in der Behandlung einiger Nebenwirkungen gefunden:
- So kann etwa die tumor- bzw. therapiebedingte Leistungsschwäche (Fatigue) verbessert werden (11), insbesondere wenn es sich um eine körperlich-muskulär betonte Variante handelt. Hierbei haben sich ca. 4 g L-Carnitin täglich als wirksam gezeigt. Möglicherweise wird dieser Effekt durch die Hinzunahme von Coenzym Q10 noch verstärkt (12). Es gibt hingegen auch Studien, die keine Verbesserung der Fatigueproblematik unter L-Carnitin-Einnahme zeigen (13).
- Betroffene mit Bauchspeicheldrüsenkrebs können mit L-Carnitin versuchen, einem Gewichtsverlust (Kachexie) entgegenzusteuern (14). Auch für diese Indikation sind etwa 4 g täglich sinnvoll.
- Eine durch Krebstherapeutika bedingte Neuropathie (Taubheitsgefühle, Kribbeln, Schmerzen in Händen und Füßen) lässt sich manchmal mit Hilfe von Acetyl-L-Carnitin verbessern (15). Dies gilt aber nicht in allen Situationen (16) und kann mitunter die Situation sogar verschlechtern (10). Daher sollte man Acetyl-L-Carnitin während einer Chemotherapie sicherheitshalber vermeiden.
- Bei Frauen mit Polycystischem Ovar-Syndrom (PCOS), einem Risikofaktor für Eierstockkrebs, kann eine relativ geringe Menge von 250 mg L-Carnitin täglich die kognitiven Funktionen fördern und den oxidativen Stress reduzieren (17).
An dieser Stelle muss ausdrücklich darauf hingewiesen werden, dass sämtliche oben genannten wissenschaftlichen Ergebnisse nur in kleinen Studien mit zum Teil qualitativen Schwächen durchgeführt wurden. Dennoch kann im Einzelfall L-Carnitin in individueller Dosierung Sinn machen. Selbst wenn L-Carnitin meist gut vertragen wird und man direkte Wechselwirkungen mit Tumortherapeutika eher nicht befürchten muss (2), empfehlen wir allerdings vor Einnahme eine unabhängige und kompetente Beratung.
Quellen:
(1) Bertz, Zürcher: Ernährung in der Onkologie – Grundlagen und klinische Praxis, Schattauer Verlag, Stuttgart, 2014.
(2) Chopra, Frölich, Schrenk: Isoflavone und L-Carnitin – Mehr Risiko als Nutzen, verfügbar unter https://www.pharmazeutische-zeitung.de/index.php?id=34339, abgerufen am 25.05.2018.
(3) Memorial Sloan Kettering Cancer Center: Carnitine, verfügbar unter https://www.mskcc.org/cancer-care/integrative-medicine/herbs/carnitine, abgerufen am 25.05.2018.
(4) Rizos: Three-year survival of patients with heart failure caused by dilated cardiomyopathy and L-carnitine administration. Am Heart J 2000;139:S120-3.
(5) Vermeulen, Scholte: Exploratory open label, randomized study of acetyl- and propionylcarnitine in chronic fatigue syndrome. Psychosom Med. 2004 Mar-Apr;66(2):276-82
(6) Tejani et al.: Carnitine for fatigue in multiple sclerosis. Cochrane Database Syst Rev. 2012 May 16;5:CD007280.
(7) Bonomini et al.: Effect of an L-carnitine-containing peritoneal dialysate on insulin sensitivity in patients treated with CAPD: a 4-month, prospective, multicenter randomized trial. Am J Kidney Dis. 2013 Nov;62(5):929-38.
(8) Brass et al.: Intravenous L-carnitine increases plasma carnitine, reduces fatigue, and may preserve exercise capacity in hemodialysis patients. Am J Kidney Dis 2001:37;1018-28.
(9) Li et al.: Effects of acetyl-L-carnitine and methylcobalamin for diabetic peripheral neuropathy: A multicenter, randomized, double-blind, controlled trial. J Diabetes Investig. Sep 2016;7(5):777-785.
(10) Hershman et al.: Randomized double-blind placebo-controlled trial of acetyl-L-carnitine for the prevention of taxane-induced neuropathy in women undergoing adjuvant breast cancer therapy. J Clin Oncol. Jul 10 2013;31(20):2627-2633
(11) Graziano et al.: Potential role of levocarnitine supplementation for the treatment of chemotherapy-induced fatigue in non-anaemic cancer patients. Br J Cancer 2002;86:1854-7.
(12) Iwase et al.: Efficacy and safety of an amino acid jelly containing coenzyme Q10 and L-carnitine in controlling fatigue in breast cancer patients receiving chemotherapy: a multi-institutional, randomized, exploratory trial (JORTC-CAM01). Support Care Cancer. 2016;24(2):637-46.
(13) Cruciani et al.: L-carnitine supplementation for the management of fatigue in patients with cancer: an eastern cooperative oncology group phase III, randomized, double-blind, placebo-controlled trial. J Clin Oncol. 2012 Nov 1;30(31):3864-9.
(14) Kraft et al.: L-Carnitine-supplementation in advanced pancreatic cancer (CARPAN) – a randomized multicentre trial. Nutr J. 2012 Jul 23;11:52
(15) Bianchi et al.: Symptomatic and neurophysiological responses of paclitaxel- or cisplatin-induced neuropathy to oral acetyl-L-carnitine. Eur J Cancer. 2005 Aug;41(12):1746-50.
(16) Callander et al.: Acetyl-L-carnitine (ALCAR) for the prevention of chemotherapy-induced peripheral neuropathy in patients with relapsed or refractory multiple myeloma treated with bortezomib, doxorubicin and low-dose dexamethasone: a study from the Wisconsin Oncology Network. Cancer Chemother Pharmacol. 2014 Oct;74(4):875-82.
(17) Jamilian et al.: Oral carnitine supplementation influences mental health parameters and biomarkers of oxidative stress in women with polycystic ovary syndrome: a randomized, double-blind, placebo-controlled trial. Gynecol Endocrinol. 2017 Jun;33(6):442-447.