Neue Richtlinien für die Ernährung von TumorpatientInnen unter intensiver Chemotherapie

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Die meisten TumorpatientInnen haben wahrscheinlich schon von besonderen Ernährungsempfehlungen unter intensiver Chemotherapie gehört. Was bei der Lebensmittel- und Küchenhygiene beginnt und bis zur geeigneten Lebensmittelauswahl geht, wurde lange Zeit als „keimarme“ Ernährung bezeichnet.

Keime_Ernährung_Chemotherapie

Warum sind spezielle Ernährungsempfehlungen nötig?

Durch intensive Chemotherapie, insbesondere bei hämatologischen Stammzelltransplantationen oder bösartigen hämatologischen Erkrankungen (Bluterkrankungen), werden durch die antitumorale Behandlung nicht nur die bösartigen Zellen „abgetötet“, sondern auch die Immunabwehr geschwächt, das heißt, das Immunsystem kann nicht mehr so arbeiten wie gewohnt [1,2].

Durch die so genannte „keimarme“ Ernährung wollte man bisher dieser Schwächung des Immunsystems Rechnung tragen. Diese Kostform sollte einer Übertragung von Krankheitserregern über die Ernährung entgegenwirken und somit Infektionen vorbeugen. Deshalb waren beispielsweise kein frisches, ungeschältes Obst oder Gemüse, keine Nüsse sowie keine Trockenfrüchte erlaubt [1].

Wie kam es zu den Änderungen in den Ernährungsempfehlungen?

Nach verschiedenen Studien und neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen wurden die Empfehlungen zur „keimarmen“ Ernährung Anfang 2021 vom Robert-Koch-Institut (RKI) überarbeitet. Man distanziert sich nun von der „keimarmen“ Ernährung, die auch „neutropene Diät“ genannt wird [2].

Die „keimarme“ Ernährungsform zeigte in Studien gegenüber einer herkömmlichen Ernährung keinen Vorteil für die betroffenen PatientInnen [3,4]. Das bedeutet, Infektionszeichen wie Fieber oder Durchfall kamen mit der neutropenen Diät genauso oft vor wie mit einer Standardkost.

Ernährung_intensive_Chemotherapie

Daher kamen Fachgesellschaften wie beispielsweise die Europäische Gesellschaft für Klinische Ernährung (ESPEN) oder der Verband der deutschen DiätassistentInnen (VDD) in den letzten Jahren zu der Erkenntnis, dass der Nutzen der neutropenen Diät nicht bewiesen ist [5,6].

Eher steigt durch die eingeschränkte Lebensmittelauswahl die für KrebspatientInnen ohnehin erhöhte Gefahr einer Mangelernährung weiter an (Gewichtsverlust und Mangelernährung – Tumorzentrum München Ernährung (ernaehrung-krebs-tzm.de). Bei einer Lebensmittelauswahl ohne Einschränkungen fällt es PatientInnen für gewöhnlich viel leichter, ihr Gewicht zu halten und den Körper optimal mit Nährstoffen zu versorgen [7]. Eine größere Lebensmittelauswahl bedeutet auch mehr Lebensqualität. Wohingegen die veränderte Lebensmittelauswahl unter der „keimarmen“ Ernährung beispielsweise das Mikrobiom im Darm negativ beeinflussen kann [8].

Das RKI spricht sich somit gegen die neutropene Diät für PatientInnen unter einer intensiven Chemotherapie aus, da deren Nutzen unbewiesen ist und durch eine solche Diät die Lebensqualität der PatientInnen stark beeinträchtigt wird [2].

Was wird aktuell für die Ernährung unter intensiver Chemotherapie empfohlen?

Die Ernährungsempfehlungen für PatientInnen unter intensiver Chemotherapie wurden also überarbeitet. Es gelten nur noch bestimmte Hygienemaßnahmen. Geblieben sind lediglich orientierende Hinweise für den Einkauf, die Zubereitung und Aufbewahrung von Lebensmitteln zur Vermeidung nahrungsmittel-assoziierter Erkrankungen.

Gemüse_Ernährung_Chemotherapie

Nichts geändert hat sich beispielsweise bei den Empfehlungen zu rohen Sprossen und offenen (vorgeschnittenen) Salaten sowie bei rohen tierischen Produkten wie zum Beispiel Rohmilchkäse, Sushi, rohem Schinken oder Salami, blutigem Steak oder nicht ausreichend erhitztem Ei. Diese Produkte mit hohem Risiko für eine bakterielle Kontamination sollten weiterhin vermieden werden [2].

Ein geringes Risiko geht von Getreideprodukten (z.B.: Reis, Haferflocken) sowie von Gemüse und Obst aus. Diese Produkte dürfen nun verzehrt werden. Obst und Gemüse sollen vor dem Verzehr gründlich gewaschen werden. Ebenso dürfen industriell verarbeitete Nüsse wieder in den Speiseplan unter intensiver Chemotherapie eingebaut werden. Aufgrund potentieller Keimbelastung sollten unbehandelte Nüsse direkt aus der Schale allerdings weiterhin nicht verzehrt werden. Auf fertige Müslimischungen sollten betroffene PatientInnen ebenfalls verzichten. Hier ist das Risiko einfach zu schwer einzuschätzen. [2]

Was Getränke betrifft, können Leitungswasser und nicht ausreichend gekochter Tee mit pathogenen Keimen belastet sein, weshalb diese weiterhin vermieden werden sollen [2]. Stilles Mineralwasser wird ebenfalls zu den risikobehafteten Getränken gezählt, die nicht verzehrt werden sollten.

Ernährung_Chemotherapie

Wie sieht es mit der Lebensmittel- und Küchenhygiene aus?

Über allem stehen die Empfehlungen zum „Safe food handling“, das heißt dem hygienisch sicheren Umgang mit Lebensmitteln. Dies betrifft die Bereiche clean (= säubern), cook (= kochen), seperate (= trennen) und chill (= kühlen) [9].

Diese Begriffe schließen unter anderem folgende Punkte ein:

  • Gründliches Händewaschen
  • Sorgfältige Reinigung und Aufbewahrung von Lebensmitteln
  • Sauberhalten von Küche und Küchenutensilien
  • Rohe tierische Lebensmittel wie Fleisch und Fisch separat von anderen Zutaten behandeln und eigenes Kochgeschirr hierfür verwenden

Tierische Lebensmittel müssen ausreichend erhitzt werden, Eierspeisen beispielsweise auf mindestens 70°C. Das heißt, das Spiegelei muss von beiden Seiten gebraten werden. Sind Speisen bereits einmal erhitzt worden, sollen diese schnell abkühlen und müssen beim Aufwärmen wieder gut durcherhitzt werden. Alle offenen Produkte (außer Trockenware) sollen innerhalb von 24 Stunden aufgebraucht werden [10].

Zusammenfassung

Heute wird für PatientInnen unter intensiver Chemotherapie oder bei allogener Stammzelltransplantation die „keimarme“ Ernährung nicht mehr empfohlen, da sie eher Risiken und keine Vorteile mit sich bringt. Lediglich oben genannte Empfehlungen sind einzuhalten.

Eine Zusammenfassung finden Sie auf den Seiten des RKI: Anforderungen an die Infektionsprävention bei der medizinischen Versorgung von immunsupprimierten Patienten, Empfehlung der KRINKO oder in Ihrem onkologischen Zentrum.

Diese Informationen ersetzen natürlich keine qualifizierte, individuelle Ernährungsberatung durch eine/n zertifizierte/n ErnährungstherapeutIn. Informieren Sie sich hierzu gerne auf der Seite des TZM https://www.ernaehrung-krebs-tzm.de/.

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Quellen:

[1] Carr SE, Halliday V: Investigating the use oft he neutropenic diet: a survey of U.K. dietitians. J Hum Nutr Diet 2015; 28(5): 510-5

[2] Robert Koch-Institut (RKI), Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO): Anforderungen an die Infektionsprävention bei der medizinischen Versorgung von immunsupprimierten Patienten: Empfehlung der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention beim Robert Koch-Institut. Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz 2021; 64(2): 232-64

[3] Lassiter M, Schneider SM: A pilot study comparing the neutropenic diet to a non-neutropenic diet in the allogeniec hematopoietic stem cell transplantation population. Clin J Oncol Nurs 2015; 19(3): 273-8

[4] Ball S, Brown TJ, Das A, Khera R, Khanna S, Gupta A: effect of neutropenic diet on infection rates in cancer patients with neutropenia – a meta analysis of randomized controlled trials. Am J Clin Oncol-Cancer Clinical Trials 2019; 42(3): 270-4

[5] Muscaritoli M, Arends J, Bachmann P, et al.: ESPEN practical guideline: Clinical Nutrition in cancer. Clin Nutr 2021; 40(5): 2898-913

[6] „Keimarme Ernährung bei Patient*innen mit Stammzellentherapie adé“ aus: https://www.vdd.de/vdd-intern/versicherungen/onkologie, aufgerufen am 16.11.2022

[7] Wolfe HR, Sadeghi N, Agrawal D, Johnson DH, Gupta A: Things we do for no reason: neutropenic diet. J Hosp Med. 2018; 13(8): 573-6

[8] Brown K, DeCoffe D, Molcan E, Gibson DL: Diet-induced dysbiosis of the intestinal microbiota and the effects on immunity and disease. Nutrients 2012; 4(8): 1095-19

[9] Fox N, Freifeld AG (2012) The neutropenic diet reviewed: moving toward a safe food handling

approach. Oncol (Williston Park) 26(6):572–575, 580, 582

[10] „Food Safety for Older Adults and People with Cancer, Diabetes, HIV/AIDS, Organ Transplants, and Autoimmune Diseases“ aus: https://www.fda.gov/food/people-risk-foodborne-illness/food-safety-older-adults-and-people-cancer-diabetes-hivaids-organ-transplants-and-autoimmune, aufgerufen am 14.11.2022

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