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„Jetzt geht’s wieder bergauf“, diesen Satz hat Gisela M. im letzten Jahr oft gehört. Die kräftezehrende Behandlung nach der Krebsdiagnose liegt schon seit einer Weile hinter ihr, ihre Prognose ist gut; eigentlich sollte es nun wirklich bergauf gehen, körperlich wie psychisch. Doch Erschöpfung und Müdigkeit haben Frau M. fest im Griff; trotz Ruhepausen kann sie selbst kleine Aufgaben im Alltag kaum bewältigen. Alles fällt ihr schwer, sie hat das Gefühl, in ihrem eigenen Leben nicht mehr zu Hause zu sein.
Dr. Carola Riedner, Ärztin und Psycho-Onkologin am Tumorzentrum München, kennt solche Aussagen von PatientInnen gut und würde bei Frau M. ein Tumor-assoziiertes Fatigue-Syndrom vermuten.
Das Fatigue-Syndrom (das Wort stammt aus dem Französischen und ist vom lateinischen Fatigatio, Ermüdung, abgeleitet) ist ein akutes oder chronisches Erschöpfungsbefinden und „bezeichnet einen Zustand außerordentlicher Müdigkeit und mangelnder Energiereserven, der in Bezug auf die vorangegangenen Aktivitäten unverhältnismäßig ist und selbst nach angemessenen Ruhepausen nicht verschwindet“ [1]. Im Zusammenhang mit einer Tumorerkrankung gilt das mit einem Tumor-assoziierte Fatigue-Syndrom „für den Krebspatienten heute das häufigste und das am meisten belastende Symptom“ [2]. Dieses Symptom kann nicht nur während der Behandlung auftreten, sondern zu jedem Zeitpunkt der Erkrankung und sogar noch Jahre danach. Grundsätzlich kann ein Fatigue-Syndrom auch von anderen Erkrankungen ausgehen wie zum Beispiel Multiple Sklerose oder Rheuma; es kann allerdings auch ein sogenanntes chronisches Fatigue-Syndrom vorliegen, bei dem keine auslösende Grunderkrankung zu erkennen ist [1].
Die Entstehung eines Tumor-assoziierten Fatigue-Syndroms ist von vielen Faktoren abhängig. So greifen zum einen der Tumor selbst, aber auch die Therapien (Chemo-, Strahlen-, Immuntherapie) in körperliche Prozesse wie Stoffwechsel und Hormonkreislauf ein und beeinflussen sie erheblich; eine weitere Rolle können erbliche Veranlagungen wie auch körperliche oder psychische Erkrankungen anderen Ursprungs spielen.
Aufgrund der Komplexität ist daher eine ausführliche Anamnese und Diagnostik nötig. Insbesondere müssen andere Ursachen wie z.B. Blutarmut (Anämie), Mangelerscheinungen sowie Erkrankungen anderer Art ausgeschlossen werden.
Das Beschwerdebild einer Fatigue ist vielgestaltig und hängt zudem vom individuellen Empfinden wie auch den Vorerfahrungen ab.
Die häufigsten Beschwerden, die auf eine Tumor-assoziierte Fatigue hinweisen, sind laut Frau Dr. Riedner:
- signifikante Müdigkeit
- Gefühl der allgemeinen Schwäche, fehlende Energie
- Konzentrationsschwäche, insbesondere Probleme mit dem Kurzzeitgedächtnis
- Mangel an Motivation, den normalen Alltagsaktivitäten nachzukommen
- Erhöhtes Ruhebedürfnis, auch bei wenig Aktivität
- Schlafstörungen und/oder übermäßiges Schlafbedürfnis, bei wenig oder gar nicht erholsamem Schlaf
- überschießende emotionale Reaktionen (Traurigkeit, Reizbarkeit, Frustration)
Die größte Herausforderung für PatientInnen mit einer Fatigue ist die Bewältigung des Alltags. Denn „je nach Ausprägung und Verlauf reichen die Auswirkungen der CrF (Tumor-assoziierte Fatigue) von geringen, vorübergehenden Einschränkungen (Smith et al.) bis zu Berufs- und Erwerbsunfähigkeit“ [3]. Auch das soziale Umfeld ist immer mitbetroffen.
Daher werden verschiedene Therapiestrategien miteinander kombiniert, die für einen ruhigeren Alltag mit einer guten, kräfteschonenden Struktur aus Bewegung und Erholung mit ausreichend Schlaf sorgen sollen.
Die Psycho-Onkologie hat hier eine „Schlüsselfunktion – als therapeutische Begleitung, aber auch als Lebensberatung und pragmatische Hilfe bei der Bewältigung des veränderten Alltags“ [4].
Auch medikamentöse Therapien aus Schul- wie auch Komplementärmedizin können hilfreich sein. Zudem spielt eine ausgewogene und gesunde Ernährung, die den Nährstoffbedarf gut deckt, eine wichtige Rolle.
Grundsätzlich ist es wichtig, dass Patienten (aber insbesondere auch Ärzte) über die Möglichkeit einer Tumor-assoziierten Fatigue unterrichtet sind, denn häufig wird Erschöpfung als unvermeidbare Begleiterscheinung von Krebs betrachtet. Deshalb betont PD Dr. Jens-Ulrich Rüffer (Vorsitzender der Deutschen Fatigue Gesellschaft), „früh von fachkundiger Seite zu klären, ob eine tumorbedingte Erschöpfung vorliegt“ [4].
Bayernweit gibt es mittlerweile an den Beratungsstellen der Bayerischen Krebsgesellschaft monatliche Fatigue-Sprechstunden, in denen eine Kurzdiagnostik durch speziell geschultes Personal durchgeführt wird. Sie können sich jedoch auch direkt an die Krebsberatungsstelle am Tumorzentrum München (Fr. Dr. Riedner) wenden.
Für Frau Gisela M. war die Diagnose, dass sie an einer Tumor-assoziierten Fatigue leidet, eine große Erleichterung: Endlich hat sie eine Erklärung für ihren dauerhaften Erschöpfungszustand gefunden und muss sich nicht einfach „zusammenreißen“. Mit einem guten Selbstmanagement und professioneller Unterstützung geht es nun tatsächlich langsam bergauf für sie.
Quellen:
- Bayerische Krebsgesellschaft, e.V., Fatigue – wenn die Müdigkeit quälend wird. 2018, Bayrische Krebsgesellschaft e.V. : München.
- Dorfmüller M., D.H., Psychoonkologie Diagnostik-Methoden-Therapie. 2013, München: Urban & Fischer.
- Mehnert, A., Koch, U., Handbuch der Psychoonkologie. 2016, Göttingen: Hogrefe Verlag GmbH & Co.
- Kramer, R., Was hilft bei tumorbedingter Erschöpfung?Lebensmut Magazin, 2017.
Meine Schwester hat auch mit dem Fatique-Syndrom zu kämpfen. Es ist belastend. Ihre Tumorerkrankung liegt schon 4 Jahre zurück. Sie wird sich bald aber noch mal mit Computertomografie untersuchen lassen, um eine erneute Erkrankung auszuschließen.