Hospiz – nur eine Möglichkeit für ein gutes Sterben

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Bereits vor über zwei Jahren widmeten wir drei Blogartikel dem Thema palliative Versorgung. Kürzlich haben wir über Trauer und Unterstützungsmöglichkeiten im Trauerprozess geschrieben. Mit dem heutigen Artikel über ein stationäres Hospiz in München erweitern wir diesen Themenkomplex noch um einen weiteren Aspekt.

Die Idee des Hospizes stammt ursprünglich aus England. Cicely Saunders eröffnete 1967 das erste Haus für Sterbende und deren Angehörige in London. Unter einem Hospiz stellte ich mir bisher immer einen „guten“ Ort zum Sterben vor, ohne allerdings jemals eines von innen gesehen zu haben. Auch in unseren Beratungsgesprächen wird das Hospiz des Öfteren genannt, wenn es darum geht, wo man sein Lebensende verbringen möchte.

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Aber wie funktioniert das überhaupt: Wie kommt man in ein Hospiz? Was erwartet einen dort? Wie lange kann man dort bleiben? Wer versorgt einen? Wer darf einen dort besuchen? Und: Lässt sich das Sterben überhaupt organisieren wie eine To-do-Liste? Mit vielen solchen Fragen im Kopf besuchten wir daher das Christophorus Hospiz in München und sprachen mit Sepp Raischl, fachlicher Leiter und Vorstandsmitglied des Christophorus Hospiz Vereins. Seit 1992 ist der Sozialarbeiter und Theologe im Palliativ-Hospiz-Bereich tätig.

Sepp Raischl
Sepp Raischl

Philosophie der Hospizbewegung

Bereits zu Beginn unseres Besuchs wird klar: Raischl sieht in einem Hospiz lediglich einen kleinen Baustein in der Palliativ-Versorgung. Er sagt: „Es ist wie ein Modell, das vermitteln soll: So kann Sterben aussehen.“. Es gehe nicht darum, immer mehr Hospize zu eröffnen und mehr Betten zu schaffen. Das Hauptaugenmerk der Hospizbewegung sollte vor allem darin liegen, das Sterben wieder mehr in alle Lebensbereiche zu integrieren. Hospize sollen nicht dazu dienen, das Sterben aus dem Leben auszuklammern. Die Menschen sollen vielmehr dort sterben können, wo sie sich sicher und wohl fühlen, und das ist in vielen Fällen der Ort, an dem sie ihr Leben bzw. ihren Lebensabend verbringen: zu Hause, im Pflegeheim, teilweise auch im Krankenhaus. Raischl nennt als Beispiel auch Wohneinrichtungen für Menschen mit Behinderung oder psychischen Erkrankungen, in die das Thema Sterben integriert werden sollte, wo die Bewohner derzeit aber zum Lebensende hin meist noch in ein Krankenhaus verlegt werden. Um das Sterben wieder zurück ins Leben zu holen, zumindest  in den Pflegeheimen, gibt es im Christophorus-Hospiz-Verein den Palliativ-Geriatrischen Dienst, der sich der Palliativ-Schulung des Personals in Pflegeheimen widmet, um den Bewohnern dieser Heime ein würdiges Leben bis zuletzt in ihrer vertrauten Umgebung zu ermöglichen. Denn, wie Raischl betont, gibt es zwar in jedem Pflegeheim verpflichtend eine Hygienefachkraft, jedoch keine Palliative Care-Fachkraft, die speziell für diese Aufgabe zuständig ist.

Rahmenbedingungen eines Hospizes

Christophorus Hospiz
Christophorus Hospiz München (Fotograf: Mario Fichtner)

Das Christophorus Hospiz selbst hat 16 Einzelzimmer zu Verfügung − mehr sind laut dem Hospiz- und Palliativgesetz (HPG) [1], wie bereits beschrieben, nicht vorgesehen. Die Finanzierung ist Aufgabe der gesetzlichen Krankenkassen: Seit 2015 tragen Krankenkassen und Pflegeversicherung 95 Prozent der Kosten für den Hospizaufenthalt. Die verbleibenden 5 Prozent finanziert jedes Hospiz durch Spenden. Damit soll die Eröffnung von kommerziellen Hospizen vermieden werden.

Die konkreten Aufnahmeanfragen laufen über das einzelne Hospiz, das die Aufgabe hat, für die betroffene Person einen passenden Platz zu finden.

Ein Arzt/eine Ärztin stellt eine Bescheinigung über die Notwendigkeit des Hospizaufenthaltes aus. Voraussetzung dafür ist ein akutes Fortschreiten einer schweren Erkrankung, die in absehbarer Zeit (max. 3 Monate) aller Wahrscheinlichkeit nach zum Tode führen wird. Daraufhin kann das Hospiz eine Kostenübernahme durch die Krankenkasse beantragen, die immer wieder überprüft wird.

Es gibt eine Warteliste; die Aufnahme in das Hospiz erfolgt aber nicht der Reihe nach, sondern der Dringlichkeit nach. Wenn eine Aufnahme im Christophorus Hospiz nicht möglich ist, werden Überbrückungsmöglichkeiten wie andere Hospize, Palliativstationen, palliative Versorgungsmöglichkeiten zu Hause etc. eruiert und organisiert. Ein Anliegen formuliert Raischl sehr deutlich: Es sollen möglichst wenige Verlegungen stattfinden, denn wie soll sich ein Mensch mit seinem nahenden Tod auseinandersetzten, wenn er ständig die Umgebung wechselt. Demnach wird auch versucht, möglichst niemanden mehr von einem Hospiz aus in ein Krankenhaus zu verlegen, was auch ein Kriterium bei der Aufnahmeentscheidung ist.  

Garten
Garten des Christophorus Hospiz
(Fotograf: Mario Fichtner)

Im Hospiz selbst kümmert sich ein multiprofessionelles Team aus unterschiedlichen Fachrichtungen (Pflege, Hauswirtschaft, Soziale Arbeit, Seelsorge) und ehrenamtlichen HospizhelferInnen um das Wohl der BewohnerInnen. Die Aufenthaltsdauer umfasst im mittleren Wert 14 Tage – teilweise kürzer, in Ausnahmefällen auch immer wieder deutlich länger. Die Zimmer dürfen individuell gestaltet werden, damit sich die BewohnerInnen wohl fühlen. Zudem stehen mehrere helle Gemeinschaftsräume, eine Dachterrasse, ein ruhiger, großer Garten mit schattigen Bäumen sowie ein „Raum der Stille“ zur Verfügung. Sogar das Mitbringen eines Haustieres ist möglich, wenn es durch den Patienten/die Patientin selbst oder von Angehörigen versorgt werden kann. Bezugspersonen dürfen zu jeder Tages- und Nachtzeit anwesend sein und können ggf. auch im Zimmer übernachten. Vorrangig ist auch hier der Wunsch der BewohnerIn: möchte er/sie z.B. keine Angehörigen sehen, wird diesem Wunsch entsprochen.  

Insgesamt fasst Raischl das im Hospiz gültige Motto in einem Satz so zusammen: „Jeder, ob Bewohner oder Mitarbeiter, darf hier ganz er selbst sein, denn jeder ist ok so, wie er ist.“ Diese respektvolle Haltung drückt sich auch darin aus, dass Verstorbene noch 24 Stunden in ihrem Zimmer verbleiben können, um sowohl An- und Zugehörigen als auch dem Team die Möglichkeit zu geben, sich zu verabschieden.

Grenzen eines Hospizes

Lebensverlängernde Maßnahmen müssen gut abgewogen werden. Ziel ist es, dass der Patient/die Patientin weitestgehend schmerzfrei ist und sich um seine/ihre Bedürfnisse (z.B. psychosozial, spirituell, etc.) gekümmert wird. Im Vordergrund steht ganz eindeutig die Lebensqualität, und nicht die Lebensdauer. Wenn BewohnerInnen immer wieder ins Krankenhaus möchten, ist das Hospiz (derzeit) nicht der passende Ort.

Ebenso kann das Sterben und das Abschiednehmen niemandem abgenommen werden. Das Sterben ist ein Teil des Lebens. Raischl formuliert es im Passiv: „Man wird geboren und man wird gestorben und je weniger ich versuche, darauf Einfluss zu nehmen, desto leichter kann es vielleicht passieren.“.

Zudem ist die sogenannte Sterbehilfe im Hospiz ausgeschlossen. Sterben zu wollen sieht Raischl vor allem bei Schwerkranken als berechtigten Wunsch an, und es ist nachvollziehbar, diesen Prozess beschleunigen zu wollen. Im Hospiz wird dennoch weder zum Suizid beraten noch begleitet. Die ohnehin knappen Hospizbetten sind der palliativen Pflege bis zuletzt vorbehalten. „Wir betreiben Suizidprävention, indem wir andere Wege aufzeigen und ausloten, wie Hilfe zugelassen werden kann. Sterben heißt Abschied nehmen – ein Prozess, der oft auch Zeit braucht“.

Hospiz „light“ – das Tagesangebot Tandem

Tagesangebot
Tagesangebot Tandem
(Fotograf: Mario Fichtner)

Eine Möglichkeit, um das Hospiz sowie die Angebote der Palliativversorgung kennenzulernen, ist das Projekt »Tandem«. Dies ist ein Tagesangebot des Christophorus Hospiz Verein mit 6 Plätzen an zwei Tagen pro Woche für Menschen mit schweren, lebensbegrenzenden Erkrankungen, die zu Hause leben. Ziel ist es, die Lebensqualität der Betroffenen zu fördern sowie Angehörigen/Betreuenden eine Auszeit zu ermöglichen. Das Angebot kann bereits in frühen Phasen einer Erkrankung in Anspruch genommen werden und bietet den Rahmen, andere Menschen in einer ähnlichen Lebenssituation zu treffen. Der Austausch darüber, wie jeder mit dem nahenden Lebensende umgeht, kann sehr bereichernd sein und auch Erleichterung bringen.

Dem Thema Sterben einen Platz einräumen

Aufgrund seiner langjährigen Erfahrung rät Raischl allen Menschen, sich frühzeitig mit dem Thema palliative Versorgung auseinanderzusetzen und entsprechende Beratungsmöglichkeiten in Anspruch zu nehmen: „Je früher ich mir Gedanken darüber mache, was ich möchte, desto besser kann ich mir einen Überblick darüber verschaffen, was es überhaupt gibt.“.

Zum Abschluss betont Raischl noch, wie wichtig es ist, dass Menschen es sich zutrauen, Übergänge zu gestalten. Schon zu Lebzeiten hat man viele Abschiede und Übergänge bewältigt – mal besser, mal schlechter. Auch der Sterbeprozess ist im Endeffekt ein Übergang, den es zu gestalten gilt. Ein Hospiz kann, muss aber nicht der passende Ort dafür sein.

Wir danken Herrn Raischl und dem Christophorus Hospiz für den umfassenden Einblick in deren Arbeit und hoffen, den Gedanken der Hospizbewegung mit diesem Artikel weitertragen zu können.

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Quellen:

[1] Hospiz- und Palliativgesetz (HPG). Abrufbar unter: https://www.pflege.de/pflegegesetz-pflegerecht/palliativgesetz/. Letzter Zugriff am 26.10.2023.

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